Demenz ist ein Dieb. Sie raubt ihren Opfern Stück für Stück ihre Erinnerung, Identität, Familie und Freunde und oft genug sogar ihre Menschenwürde. Auf ihrem vierten Album „Bleed, Memory“ beschäftigen sich die in Los Angeles ansässigen elektronischen Experimentalmusiker THIEF sowohl textlich als auch musikalisch mit dem Thema „Erinnerung“, das sich wie ein dicker gestrichelter Faden durch das gesamte Album zieht. Der Mastermind des Soloprojekts, Dylan Neal, ließ sich zu diesem Album weitgehend inspirieren, nachdem er miterlebt hatte, wie sein Vater, bei dem kürzlich Demenz diagnostiziert worden war, von Anfällen von Vergesslichkeit und Verwirrung zu akuten Episoden falscher Erinnerungen, Wahnvorstellungen, Visionen und seltsamen Verhaltens überging. Dies macht „Bleed, Memory“ zu einer sehr persönlichen Schöpfung, und die Erfahrung hat Neal dazu gebracht, seine eigenen Erinnerungen zu hinterfragen und zu erforschen, wie sie seine Identität und Realität prägen. Erinnerungen sind nicht nur die Geschichten, die wir uns selbst und anderen erzählen, und das wird deutlich, wenn Neal sie mit Geistern vergleicht. Diese haben keine körperliche Existenz, erschrecken aber diejenigen, die an sie glauben. Das Rückgrat von THIEF besteht erneut aus gesampelter sakraler Gesangsmusik. Einige wurden aus alten Musikkisten gesampelt und einige in verschiedenen orthodoxen Kirchen aufgenommen. Diese Samples wurden gestreckt, geschnitten, verstümmelt, verändert und gestimmt, damit sie wie ein eigenes ätherisches Instrument wirken. Neal hat „Bleed, Memory“ bewusst so gestaltet, dass es gespenstisch klingt. Eine der Techniken, die er verwendet, um diesen Effekt zu erzielen, ist die „granulare Synthese“. Der stärkere Einsatz der granularen Synthese auf dieser Platte bedeutet, dass die Samples in kleine Audio-Blips aufgeteilt wurden, die kaum länger als 100 Millisekunden sind. Dieser einzigartige Ansatz, bei dem musikalische Elemente aus Ambient, Industrial, Chormusik, Black Metal und Trip-Hop sowie anderen Einflüssen zu einem neuen Klangerlebnis verschmolzen werden, hat THIEF unter Eingeweihten schon lange Kultstatus eingebracht. Neal hat den Großteil des Albums erneut in seiner Wohnung aufgenommen und gemischt. Für das Mastering konnte er erneut John Greenham gewinnen, der mit Künstlern von THE LOCUSTS über KATY PERRY bis DEATH GRIPS zusammengearbeitet hat und 2019 drei Grammy Awards erhielt, die sein Mastering für BILLIE EILISH würdigten. Mit „Bleed, Memory“ liefern THIEF eine dunkle, aber wunderschöne künstlerische Betrachtung eines schrecklichen Leidens, das gleichzeitig Wut, Melancholie, Trauer und Verlust als Gesamtkunstwerk textlich, musikalisch und visuell transportiert. Vorsicht, dieser Klanggeist wird die Erinnerungen seiner Zuhörer heimsuchen!